Cambridge-Analytica-Skandal: Schützt unsere Daten!
Die neuen Enthüllungen rund um Cambridge Analytica zeigen, der Missbrauch von Daten für politische Zwecke ist weiter an der Tagesordnung. Die Politik muss endlich ihre Rolle als machtloser Statist ablegen und die Plattformbetreiber in die Verantwortung nehmen, fordert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Neue Enthüllungen zeigen: Missbrauch von Daten für politische Zwecke ist weiter an der Tagesordnung. Die Politik ist gefragt.
Dem Jahr 2020 wird politisch große Bedeutung zugemessen. Das liegt nicht ausschließlich, aber insbesondere an den US-Wahlen im November. Keine (demokratische) Wahl hat derart großen weltpolitischen Einfluss wie die Präsidentschaftswahl in den USA. Umso erschreckender ist es zu sehen, dass der „Cambridge-Analytica-Skandal“, der die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 erschüttert hatte, neue Blüten treibt. Die Gefahr einer erneuten Manipulation ist groß.
Der anonyme Twitter-Account „@HindsightFiles“ veröffentlicht seit Beginn des Jahres Dokumente der ehemaligen Analysefirma Cambridge Analytica, die im Zuge des US-Wahlkampfes 2016 illegal Daten von Millionen potenzieller Wähler sammelte und auswertete. Ziel des Unternehmens war es, durch sogenanntes Microtargeting das Wahlverhalten der angesprochenen Personen zu beeinflussen – mit Erfolg, so die einhellige Expertenmeinung.
Nach der Veröffentlichung musste das Unternehmen Insolvenz anmelden und ist seither von Markt verschwunden – doch sein Erbe besteht fort. Die jetzt nach und nach veröffentlichten Dokumente zeigen, dass der Öffentlichkeit bisher nur die Spitze des Eisberges bekannt war.
Laut der britischen Zeitung „Guardian“ werden in den kommenden Monaten „mehr als 100 000 Dokumente“ veröffentlicht, die sich auf die Arbeit in 68 Ländern beziehen und die die globale Infrastruktur einer Operation zur Manipulation von Wählern im ‚industriellen Maßstab‘ aufdecken werden“. Die Whistleblowerin Brittany Kaiser, ehemalige Mitarbeiterin von Cambridge Analytica, spricht in diesem Zusammenhang von Wahlsystemen, die „offen für Missbrauch“ seien.
Die bisher veröffentlichten Dokumente lassen erahnen, dass es sich beim „Cambridge-Analytica-Skandal“ um mehr als nur eine Wahlmanipulation in den USA handelt. Es geht um eine globale „Fake-News-Industrie“. So sollen mindestens 65 Länder betroffen sein, von Kenia bis Iran.
Noch erschreckender: Die Drahtzieher hinter den Manipulationen im US-Wahlkampf 2016 sind auch heute noch mit den gleichen Techniken aktiv; die Geldströme zur Finanzierung der dunklen Machenschaften fließen noch immer; persönliche Daten werden noch immer zur politischen Beeinflussung und Wahlwerbung missbraucht.
So haben die Expertinnen und Experten der Nichtregierungsorganisation Tactical Tech, deren Gründerin Stephanie Hankey in dieser Sache auch im britischen Parlament angehört wurde, in einer jüngst veröffentlichten Studie rund 300 Firmen identifiziert, die mit persönlichen Daten und politischer Beeinflussung Millionenbeträge verdienen. Die Schäden für Demokratie und Rechtsstaat sind potenziell gravierend.
Was also ist zu tun? Um den Drahtziehern ihr Werkzeug zu nehmen, braucht es vor allem Transparenz: Noch immer sind die Algorithmen zu Datenauswertung und -nutzung der Social-Media-Plattformen undurchsichtig – trotz erkennbarer Fortschritte in den letzten Jahren. Die Datenmengen wachsen stetig, während der notwendige Datenschutz kaum gewährleistet ist.
Es muss immer eindeutig sein, für welche Zwecke meine Daten verwendet werden, wenn ich sie einem Unternehmen wie Facebook zur Verfügung stelle. Transparenz und Datenminimierung sind der oberste Grundsatz, die nachhaltige Anonymisierung das scharfe Schwert im Kampf gegen den Datenmissbrauch.
Dafür muss die Politik ihre Rolle als kritisierender und machtloser Statist ablegen und die persönliche Datenhoheit als eine Grundlage unserer Selbstbestimmung und Entfaltung im 21. Jahrhundert erkennen. Bestehende datenschutzrechtliche und wettbewerbsrechtliche Regelungen müssen konsequent umgesetzt werden – notfalls mit gesetzlichen Spezifizierungen.
Zudem müssen die Plattformbetreiber bei der besonders brisanten politischen Werbung stärker in die Verantwortung genommen werden. Trotz der erkennbaren Fortschritte beim Schalten politischer Werbeanzeigen in den sozialen Medien klaffen Anspruch und Realität weit auseinander. Noch immer beeinflussen Bots und Trolle die politische Debatte, noch immer wird politische Werbung nicht ausreichend geprüft.
Twitter und Spotify haben daher Konsequenzen gezogen und vor den US-Präsidentschaftswahlen sämtliche politischen Werbeinhalte verbannt. Selbst Google, bisher keine Ikone des Datenschutzes und der werblichen Zurückhaltung, wird die Möglichkeiten personalisierter Wahlwerbung massiv einschränken.
Facebook dagegen, der Ursprung des Cambridge-Analytica-Skandals, erklärt, dass die Nutzer selbst Anzeigen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen sollten. Wie gut das funktioniert, hat der Skandal bereits 2016 gezeigt. Nämlich überhaupt nicht.
So bleibt die Frage: Wie viele politische und datenschutztechnische Skandale braucht es noch, bis sich auch Facebook seiner politischen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst wird?