Wider dem Dauer-Lockdown
„Parteienstreit runterfahren und in Lockdown gehen?“ Diese Aufforderung des Bundesgesundheitsministers von heute ist in vielerlei Hinsicht gefährlich. Welcher Lockdown ist denn gemeint?
„Parteienstreit runterfahren und in Lockdown gehen?“ Diese Aufforderung des Bundesgesundheitsministers von heute ist in vielerlei Hinsicht gefährlich. Welcher Lockdown ist denn gemeint? Seit mittlerweile fünf Monaten befinden sich weite Teile Deutschlands im Dauer-Lockdown, der den Wesensgehalt der Grundrechte mit Füßen tritt und schon allein deshalb verfassungsrechtlich nicht haltbar ist. Immerhin gibt es mittlerweile eine Art Stufenplan, der in den Ländern Lockerungen ermöglicht - nach klaren Vorgaben und eindeutig identifizierten Indikatoren für das Pandemiegeschehen.
Dass vor Ort am besten entschieden werden kann, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt, interessiert aber Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Laschet und Ministerpräsident Söder immer weniger. Eine bundesgesetzliche Reglung soll nun her. Nur was soll denn dort wie geregelt werden? Im Kern scheinen sich deren Überlegungen auf eine straffere Verordnungspolitik durch den Bund zu konzentrieren. Also: Das handwerklich so umstrittene Infektionsschutzgesetz soll aufgebohrt werden. Eine weitere Konzentrierung der Gestaltungsmacht in Verordnungsform auf Bundesebene ist wohl das Ziel. Das hieße eine weitere Schwächung des Parlaments. Und was ist der Mehrwert?
Was wir endlich brauchen ist eine „handwerklich saubere“ Grundlage für Bund und Länder. Ein Bundesgesetz, das das Parlament wieder in das Zentrum des Geschehens rückt. Es ist an der Zeit, endlich auf den Weg des guten Regierens zurückzukehren.
Darüber rätselt mittlerweile das ganze Land. Statt diese Diskussion im Bundestag zu führen und zu diskutieren, welche Möglichkeiten es gibt, passiert erst einmal: nichts. Die Ministerpräsidentenkonferenz wird für kommenden Montag abgesagt. Stattdessen wird verlautbart, die Notbremse solle in das Infektionsschutzgesetz.
Was wir endlich brauchen ist eine „handwerklich saubere“ Grundlage für Bund und Länder. Ein Bundesgesetz, das das Parlament wieder in das Zentrum des Geschehens rückt. Eine parlamentarische Wirklichkeit, die transparent ist und Vertrauen schafft. Wir werden die Pandemie nur erfolgreich bekämpfen, wenn wir gemeinsam Regeln einhalten. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass Regeln nachvollziehbar und berechenbar sind. Die Diskussion zwischen Parteien und in der Öffentlichkeit stärkt die Demokratie und macht dem Bürger Mut. Ein permanenter Ausnahmezustand, der über eine schlechte Verordnungspolitik stattfindet, gefährdet dagegen unsere Demokratie.
Juristisch formuliert: Es braucht endlich klare Tatbestände und Rechtsfolgen, ohne sollte, könnte, müsste, sondern mit belastbaren Vorgaben, abgestuft nach dem Infektionsgeschehen, der Kapazität der Intensivbetten und weiterer Kriterien – die Verhältnismäßigkeit immer fest im Blick.
Das würde die Corona-Politik wieder an das koppeln, was wirklich zählt, nämlich die legitimen Zielvorgaben und den Schutzauftrag des Staates in dieser Krise, verschiedene und ganz unterschiedlich gelagerte Interessen in Ausgleich zu bringen. Mit einer solch klaren gesetzlichen Grundlage müssen zum einen endlich auch die betroffenen Grundrechte deutlicher benannt werden, die durch die einzelnen Maßnahmen beschränkt werden und der Gleichbehandlungsgrundsatz muss zur Geltung kommen. Zum anderen muss bei der Anwendung der Maßnahmen auf unterschiedliche Branchen, deren konkreter Infektionslage Rechnung getragen werden, was für den Kulturbereich eine schrittweise Öffnung bedeutet. Und es müssen Entschädigungen für Sonderopfer, wie sie auf staatliche Anordnung seit über einem Jahr von vielen Selbständigen, Unternehmern und Kulturschaffenden erbracht werden, vorgesehen werden, wenn die Existenzgrundlage durch die Pandemie wegbringt.
Vor sechs Monaten hätten wir über eine eingeschränkte Eilkompetenz des Bundes nachdenken können, die durch einen Parlamentsbeschluss bestätigt würde und klar befristet sein müsste. Aktuelle gerichtliche Entscheidungen zeigen heute, dass bessere Lösungen zur Eindämmung der Pandemie-Ausbreitung zur Verfügung stehen und zu pauschale Regelungen deshalb nicht mehr verhältnismäßig sind. Wenn Geschäfte durch Tests, elektronische Kontaktnachverfolgung und Maskenpflicht sicherstellen, dass die Infektionsgefahr gering ist, bringt eine Begrenzung der Kundenanzahl pro Fläche keinen weiteren Schutz und ist deshalb unverhältnismäßig (VG Berlin, Beschluss vom 01.04.2021). Und wenn das Fehlverhalten einzelner, die abends regelwidrig privat zusammenkommen, nicht vorher durch stärkere staatliche Kontrollen versucht wird zu unterbinden, dann darf nicht der Rest der Bevölkerung vom Fehlverhalten Einzelner und dem staatlichen Versagen bei der Regeldurchsetzung durch allgemeine Ausgangssperren in Sippenhaft genommen werden (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.04.2021).
Es ist an der Zeit, endlich auf den Weg des guten Regierens zurückzukehren.