Wir wollen den mutigen Menschenrechtsverteidigern eine Stimme geben

Am 7. Mai 2022 habe ich bei der Preisverleihung der Theodor-Heuss-Stiftung in Stuttgart die Laudatio auf die Preis- und Medaillenträger gehalten. Preisträgerin ist Memorial International und ihre Mitgründern Irina Scherbakowa. Hier können Sie meine Laudatio lesen:

Die überparteiliche Theodor-Heuss-Stiftung trägt den Namen des ersten Bundespräsidenten und zeichnet jedes Jahr Persönlichkeiten und Initiativen aus, die sich für Demokratie und Bürgerrechte engagieren.

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede

Das Jahresthema der 57. Verleihung des Theodor Heuss – Preises ist von einer leider erschreckenden Aktualität. Es geht täglich um den Kampf für Freiheit und Menschenrechte. Kampf in einem Kriegsgeschehen, das alle Grausamkeiten wie Folter, Mord und den Einsatz von Waffen jeglicher Art bis hin zur geächteten Streumunition bereithält und fast täglich darbietet.

Dieses Kriegsszenario hatten wir – die Mitglieder des Vorstands und des Kuratoriums der Theodor – Heuss – Stiftung - nicht vor Augen, als wir uns für das diesjährige Jahresthema

„Kampf für Freiheit und Menschenrechte – die Quellen der Demokratie“ entschieden haben.

Für uns war Anlass die verheerende Menschenrechtssituation in vielen Staaten und Auslöser war letztlich das Verbot von Memorial in Russland, das ein erschreckender Höhepunkt in der seit Jahren fortschreitenden Unterdrückung der Presse-, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, ja jeglicher Menschenrechtsarbeit in Russland darstellt. Und uns hat angetrieben die unglaublich mutige, kreative und konsequente Arbeit vieler Initiativen und Einzelpersonen, die sich gegen eine teilweise brutal agierende Staatsmacht wenden.

Lassen Sie mich einen kurzen kursorischen Blick auf die Verletzung von Freiheit und Menschenrechten werfen:

Das Leid von Flüchtlingen wegen politischer Verfolgung bis zu Folter und Ermordung seit über 10 Jahren in Syrien.

Die gewaltmäßige Unterdrückung von Frauen von Islamisten und die verweigerte Teilhabe an Bildung und gesellschaftlicher Entwicklung in Afghanistan.

Das Wegsperren der mutigen demonstrierenden Frauen in Belarus.

Die massive Beschränkung bis Ausschaltung der Presse- und Medienfreiheit in der Türkei und auch im europäischen Mitgliedstaat Ungarn.

Zahlreiche Maßnahmen der politischen Einflussnahme auf Richter und die strukturelle Veränderung der Justiz zu einem Organ der Regierungspolitik wie zum Beispiel im europäischen Mitgliedstaat Polen.

Und die Drangsalierung Oppositioneller in der Russischen Föderation mit immer neuen Gesetzen wie der ausländischen Agentenregelung bis hin zu Morden und Mordversuchen an Menschenrechtskämpfern und der gnadenlosen Vernichtung von Geschichtswissen, wie es mit der gerichtlich abgesegneten Liquidierung von Memorial International, der ältesten Menschenrechtsorganisation in Russland geschehen ist.

Die Mehrzahl der genannten Staaten in dieser lückenhaften Aufzählung von Menschenrechtsverletzungen wird autoritär oder diktatorisch regiert oder bezeichnet sich als sogenannte illiberale Demokratie.

Es sind alles keine „ lupenreinen Demokratien“.

Die mutigen Männer und Frauen in Nichtregierungsorganisationen, Parteien oder Menschenrechtsinstitutionen, die Journalisten, Anwälte, Ärzte, Autoren, Komponisten, die sich für ein Leben in Freiheit, für die Achtung der Menschenrechte gegen die Machthaber in ihren Heimatländern einsetzen und damit ihr Leben und ihre Existenz riskieren, nehmen ihre Menschrechte und die der Bürgerinnen und Bürger wahr. Sie wollen in einem System leben frei von Folter, Unterdrückung und staatlicher Willkür. Sie wollen in einer Demokratie leben, weil sie die freie Entfaltung des Einzelnen leben wollen, weil zur Demokratie Gewaltenteilung und damit eine unabhängige Justiz und unparteiische, nicht korrupte Richterinnen gehören. Weil sie den Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ernst nehmen und danach leben wollen, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Dieser Menschenwürdeschutz unabhängig von Herkunft, von Abstammung, Glauben, Geschlecht und politischer Auffassung gehört zu den Wertegrundlagen der Demokratie und des Zusammenlebens in der Europäischen Union. In Deutschland ist das Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft ausdrücklich in Art. 1 Absatz 2 Grundgesetz festgelegt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wussten warum. Das sollten manche unermüdlichen Demonstranten gegen die angebliche „ Diktatur“ in Deutschland mal lesen und dann mit der Situation in Russland und Belarus vergleichen.

Dieses Bekenntnis zu den Menschenrechten darf nie ein nur hohles Versprechen sein, sondern muss auch von der Politik gelebt werden. Die Menschenrechte kann kein Staat legitimerweise den Menschen nehmen, denn sie sind ihnen a priori zu eigen und werden nicht vom Staat verliehen.

„Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren“, so der Sozialdemokrat Carlo Schmid bei der Generaldebatte des Plenums des Parlamentarischen Rats am 9. September 1948. In derselben Sitzung befand der Liberale Theodor Heuss: „Was die Grundrechte betrifft, so sind sie ein Stück des Staates; aber sie sind gleichzeitig Misstrauensaktionen gegen den Missbrauch der staatlichen Macht.“

Sie wussten, warum sie diese Garantien im Grundgesetz formulierten. Sie hatten erlebt, wozu eine Partei fähig ist, für die Menschenrechte noch nicht einmal ein Wort wert sind.

Aber, meine Damen und Herren, die Nazis haben auch demonstriert, wie man sich der Werkzeuge der Demokratie bedient, um an die Macht zu kommen und dass die beste Verfassung allein keine Machtergreifung und keinen Putsch verhindern kann.

Dazu braucht es eine wehrhafte Demokratie mit starken Institutionen, mit starken Gerichten, mit durchsetzbaren Grenzen und Verboten, unabhängige Medien und Journalisten, die investigativ recherchieren und Fakten darstellen, die sie dann natürlich kommentieren. Aber es braucht ganz besonders eine starke Zivilgesellschaft, überzeugte Bürgerinnen und Bürger, die in der Lage sind, desinformierende Staatspropaganda zu erkennen, die solidarisch mit Menschenrechtsverteidigern sind, die sich einbringen und nicht nur zuschauen. Und die die Rattenfänger erkennen, die schwierige politische, gesellschaftliche Situationen zu ihren eigenen demokratiefeindlichen Zwecken nutzen und Angst, Unsicherheit, Hass und Verleumdung gegen Minderheiten verbreiten. Flüchtlinge, Muslime und Juden werden immer wieder bis heute als Sündenböcke missbraucht.

Genau das betreiben die rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit dem Ziel, die Demokratie zu schwächen.

In einer polarisierten und radikalisierten Atmosphäre haben Freiheits- und Menschrechtsverteidiger es schwer, ausreichend Gehör und Unterstützung zu finden. Sie kämpfen gegen staatliche Allmacht und gegen gesellschaftliche radikale Kräfte.

Schon in Deutschland mit einer recht stabilen Demokratie greifen Desinformation, Missachtung, Verleumdung um sich, Reaktionäre arbeiten gegen die offene Gesellschaft und das demokratische System.

Wie sagt es Roger de Weck in seinem Buch „ Die Kraft der Demokratie“ „Ihre zweigeteilte Welt ist konfliktuell – Elite versus Volk, Nation versus Fremde, wir versus die anderen. „( S. 213 ) Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Und denen stehen keine Freiheit und Menschenrechte zu.

Wie anmaßend. Wie verletzend. Und jegliche Codifizierung des Menschenrechtsschutzes bewusst missachtend, der international und europäisch verankert wurde mit dem Anspruch, die richtigen und wirksamen Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben.

Diese Errungenschaft ist in Gefahr. In großer Gefahr. Denn rücksichtslos setzen sich immer mehr Machthaber darüber hinweg.

Was heißt das für Menschenrechtskämpfer?

Wer nicht fliehen kann oder nicht fliehen will wie zum Beispiel Alexej Nawalny, der wird vergiftet, mit absurden, erfundenen Vorwürfen in einem Gerichtsprozess, der eine Farce ist, verurteilt und in einem Lager weggesperrt. Das passiert seit längerem Menschenrechtsverteidigern in Russland, in Belarus, in der Türkei zu Tausenden. In China gibt es kaum noch Menschen, die sich trauen, ihre kritische Meinung zu äußern – sie verschwinden. Erinnern wir uns an die mutigen Studenten in Hongkong, bis die Sicherheitsgesetze sie zum Verstummen brachten.

Es regiert sich einfach leichter, wenn in der Öffentlichkeit Desinformation, Korruption, Machtmissbrauch nicht mehr aufgedeckt werden. Regierende müssen sich nicht gegenüber selbstbewussten, informierten Bürgerinnen und Bürger rechtfertigen. Und es können Wahlen nicht zur Abrechnung werden.

„ Es ist nicht schwer, Wahlen zu gewinnen, wenn die Gegner nicht auf dem Wahlzettel stehen.“, sagte der russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara – Murza, der immer wieder vor Wahlen eingesperrt wurde. Zwei Giftanschläge hat er überlebt und jetzt sitzt er wieder im russischen Gefängnis wegen seiner Haltung zum russischen Angriffskrieg.

Die Angst von Diktatoren und autoritär Regierenden vor Journalisten sitzt tief, denn nichts ist schädlicher für sie, als wenn ihr wahres Gesicht sichtbar wird – menschenverachtend, brutal, skrupellos und voller Lügen. Das Brechen des Rechts gehört zur DNA ihrer Tyrannei.

Ein Schutzwall für die Freiheitsrechte bilden die nationalen Verfassungsgerichte. Sie werden auch deshalb gerade in autoritären Staaten, aber auch in manchen Demokratien wie Großbritannien für überflüssig, ja störend betrachtet, denn sie haben die Macht, in einem Staatssystem mit Gewaltenteilung, Regierungshandeln als verfassungswidrig zu verwerfen. Nicht alle Mitgliedstaaten der EU verfügen über ein Verfassungsgericht. Ähnliche Einstellungen gelten hinsichtlich des Europäischen Gerichtshofs, den Großbritannien wie auch Polen und Ungarn ablehnen. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ( EGMR ) wird von manchen Vertragsstaaten schlichtweg gar nicht beachtet. Der Kunstmäzen Osmann Kavala ist in der Türkei zu lebenslanger Haft in der letzten Woche verurteilt worden, obwohl der EGMR seine sofortige Freilassung gefordert hatte.

Das Berufen auf die Universalität der Menschenrechte wird als Angriff auf die kulturellen Traditionen angesehen und als unbefugte Einmischung. Menschenrechtspolitik ist immer befugte Einmischung. Mit der Zeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte haben sich 193 Staaten zu deren Einhaltung bekannt - als Selbstverpflichtung.

Und mit dem Völkerstrafrecht ist die Unverbindlichkeit überschritten.

Der russische Angriffskrieg hat den wichtigen Grundsatz der UN -Charta, die Achtung der staatlichen Souveränität verbunden mit dem Gewaltverbot verletzt. Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen legitim ihr Leben, ihre Freiheit und ihre demokratischen Errungenschaften. Niemand hier hat das Recht, über ihr Leben zu bestimmen- ihnen also aufzugeben, sich im Krieg Putin zu opfern, damit die Waffen schweigen und wir wieder unsere Ruhe haben. So ist das mit den Menschenrechten nicht gemeint!

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit können in keiner Situation, in keinem bewaffneten Konflikt mit dem Verteidigungsargument gerechtfertigt werden. Und dieses Völkerstrafrecht muss durchgesetzt werden. Deshalb haben Gerhart Baum und ich mit Unterstützung von Anwälten mit russischen und ukrainischen Sprachkenntnissen eine umfangreiche Strafanzeige beim Generalbundesanwalt eingereicht, die sich besonders gegen die Kommandeure und Soldaten der militärischen russischen Einheiten richtet. Wir wollen, dass so schnell wie möglich Haftbefehle erlassen werden, denn es gibt bereits viele Beweise für Kriegsverbrechen gegenüber Zivilisten. Damit kann schon jetzt abschreckend in das Kriegsgeschehen gewirkt werden, wenn jeder Soldat und Kommandeur weiß, dass er zur Verantwortung gezogen werden kann.

Anrede

Unsere heutige Preisträgerin, die russische internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge Memorial International genannt, engagierte sich seit ihrer Gründung 1988 für historische Aufklärung, für das Erinnern an die Opfer des Stalinismus und von Repressionen. Sie wollen die historische Wahrheit wieder herstellen.

Von dem 1993 gegründeten Menschenrechtszentrum „Memorial für Menschenrechte“ wurden Verletzungen des humanitären Völkerrechts unter anderem in Karabach, Baku, Südossetien und während des Tschetschenienkrieges im Kaukasus untersucht. Mit dem Programm „ Unterstützung für politische Gefangene und andere Opfer politischer Repressionen „ leistet das Menschenrechtszentrum Hilfe für politisch Verfolgte und veröffentlicht Listen von Personen, die aus politischen, religiösen und anderen Gründen in Russland inhaftiert sind.

Memorial ist für den heutigen russischen Staat gefährlich, weil Memorial zur historischen Aufklärung breiter Bevölkerungsschichten beigetragen hat. Memorial arbeitet für die Öffnung zuvor versiegelter sowjetischer Archivgeheimnisse. Einmal geöffnete Archive stehen allen zur Verfügung, auch privaten Forschern, die die Vergangenheit ihrer Familien besser kennenlernen wollen. Über die Geschichte der einzelnen Familien erkennt man unwillkürlich deutlich die Geschichte des eigenen Landes. Über Archive versteht man besser die wahre Rolle historischer Persönlichkeiten wie Stalin. Die Arbeit von Memorial ist eine Art Impfung gegen die zersetzende Kraft von Propaganda, die das öffentliche Geschichtsbewusstsein manipulieren und die Nostalgie für die Sowjetunion wieder erwecken will.

Liebe Frau Scherbakowa,

Sie sind als Mitgründerin Memorial eng über Jahrzehnte verbunden., forschen als Historikerin zum Totalitarismus, Gulag und Stalinismus.

Sie sind Mitglied des Kuratoriums der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar, der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Vorstandsmitglied der Marion-Dönhoff- Stiftung.

Mit Ihnen sind der Vorstandsvorsitzende von Memorial International, Ian Rachinskij und die geschäftsführende Direktorin Elena Zhemkova hier.

Sie fassen in Worte, was verborgen war und noch immer verborgen ist. Sie helfen dabei, zwischen Erfahrung und Mythos, Wahrhaftigkeit und Lüge, Fakten und Legenden zu unterscheiden.

Und genau das ist es, was in Putins Russland absolut unerwünscht ist. Einem Russland, in dem noch nie so intensiv, umfassend und brutal Andersdenkende verfolgt, gefoltert oder auch ermordet wurden.

Über Jahrzehnte auch in schwierigen Zeiten des Kalten Krieges konnte Memorial sich für Menschenrechte einsetzen, konnte auch unter schwierigen Bedingungen arbeiten, es gab Gefahren, aber über Memorial schwebte nicht ständig das Damoklesschwert des gerichtlichen Verbotes wie seit einigen Jahren, seitdem Memorial als „ausländischer Agent“ eingestuft wurde und damit jede Zusammenarbeit auch für Partner gefährlich wurde. Die Anklagepunkte haben Sie, Irina Scherbakowa, als „absurd, lächerlich und rein politisch motiviert“ bezeichnet. Das Verbot von Memorial wurde am 28. Februar 2022 durch eine Entscheidung des Präsidiums des Obersten Gerichtshofs rechtskräftig.

Und damit sollte Memorial mundtot gemacht werden. Eine Stimme für Menschenrechte sollte für immer verstummen. Das wird nicht gelingen. Memorial arbeitet weiter in dezentralen Einrichtungen.

Wir wollen mit dem Theodor – Heuss - Preis Memorial eine Stimme geben.

Herzlichen Glückwunsch.

Genauso wollen wie unseren Medaillenträgerinnen eine Stimme geben.

Vier Organisationen, die sich gegen Unterdrückung und politische Verfolgung einsetzen, verteidigen die Menschenreche und geben damit den Betroffenen das Gefühl, nicht allein gelassen zu sein.

Liebe Frau Romanowa,

Sie sind eine weit über Russland hinaus anerkannte Journalistin. Sie haben in Russland noch 2004 einen russischen Fernsehpreis in der Kategorie „ bestes Informationsprogramm des Landes „ erhalten. Sie arbeiteten unter anderem für die noch einigermaßen unabhängigen Medien wie den Radiosender Echo Moskwy und die Zeitung Nowaja Gaseta, die vor kurzem verboten wurden. Sie schrieben für den Think Tank Carnegie-Zentrum in Moskau, waren Chefredakteurin von Business Week Russia. Sie trauten sich, den skandalösen Freispruch des Sohns des Verteidigungsministers zu kritisieren und wurden deshalb von Ihrem Sender entlassen. Wegen der schleichenden Übernahme der meisten Medien durch Putin-treue Oligarchen oder staatlich-kontrollierte Firmen wurde Ihr Betätigungsfeld jedoch immer weiter beschnitten. Lassen Sie mich die Gründung Ihrer gemeinnützigen Stiftung „Russland hinter Gittern“ mit dem Ziel, Strafgefangenen der russischen Strafkolonien und ihren Familien juristisch und humanitär zu helfen, erwähnen und die Liga Freier Wähler, die sich für faire und unabhängige Wahlen in Russland einsetzte. Ihr russlandweiter Erfolg führte sehr früh, bereits 2016 zu der Einstufung Ihrer Stiftung als „ausländischer Agent“. Wegen der steigenden persönlichen Gefährdung seitens russischer Behörden mussten Sie nach Berlin umziehen.

In Ihrem Engagement für die Hilfe von Strafgefangenen haben Sie auch in Berlin nicht nachgelassen. Und Sie helfen ukrainischen Flüchtlingen, die zu Tausenden seit dem 24. Februar verschleppt in russischen Strafkolonien großen Lebensgefahren ausgesetzt sind.

Sollten Sie es wagen, heute den Boden Ihrer russischen Heimat zu betreten, würde Ihnen höchstwahrscheinlich das Schicksal Nawalnys oder Kara-Murzas drohen, die sie wie seinerzeit auch Boris Nemzow, vor der bestehenden akuten Gefahr gewarnt hatten.

Wir sind von Ihrem bewunderungswürdigen Leben für die Menschenrechte beeindruckt.

Ein weiterer Medaillenträger ist AI-Jumhuriya.

AI –Jumhuriya ist eine unabhängige Nachrichtenplattform in Syrien, die im März 2012 von einer Gruppe syrischer Wissenschaftler:innen aus Syrien und der syrischen Diaspora gegründet wurde. Sie verbreiten Informationen über Menschenrechtsverletzungen, sie geben die Hoffnung für eine bessere Zukunft Syriens nicht auf und werben für die Stärken der Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Inzwischen gehören mehr als 250 Journalisten dazu. Sie führen für sie Ausbildungsprogamme durch. Ihre Arbeit ist in den andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien nicht ungefährlich. Auch wenn dieser Krieg etwas aus den ersten Meldungen der medialen Berichterstattung seit dem russischen Angriffskrieg verschwunden ist, ist er längst nicht beendet. Nach wie vor finden Menschenrechtsverletzungen statt, die dank Ihnen nicht im Verborgenen bleiben.

Wir freuen uns, als Vertreter Nisrine Al Zahre, Yassin Swehat und Karam Nacher begrüßen und beglückwünschen zu können.

Eine weitere Medaille bekommt der Frankfurt/ Oder – Slubice Pride

Die Aktiven setzen sich für die Rechte der LGBTIQ –Menschen ein und kämpfen länderübergreifend dafür, dass Queer Menschen so leben können wie sie wollen und nicht wegen ihrer geschlechtlichen Orientierung befürchten müssen, verfolgt zu werden. So ergeht es aber immer wieder Menschen auch in europäischen Mitgliedstaaten wie zum Beispiel in Polen. Pride – Demonstrationen werden verboten oder Demonstrierende angegriffen und verletzt. Viele Landkreise in Polen haben sich zu LGBT-freien Zonen erklärt. Dagegen fordert der Frankfurt/Oder - Slubice Pride, die Doppelstadt zu einem offenen und LGBT-freundlichen Raum zu erklären. Sie protestieren gegen körperliche und verbale Gewalt, die Homo- und Transsexuelle immer wieder im Alltag erleben.

Die Mitglieder des Frankfurt - Lublice Pride kämpfen gegen Diskriminierung und für die sexuelle Selbstbestimmung, was auch im 21. Jahrhundert notwendig ist.

Als Vertreterin ist heute Ronja Zimmermann hier.

Herzlichen Glückwunsch.

Und wir zeichnen NSU -Watch mit einer Medaille aus.

NSU – Watch ist ein Netzwerk von Einzelpersonen und Gruppen in Deutschland, die sich schon lange gegen rechtsextremistische Aktivitäten engagieren. Sie haben sich intensiv mit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, einem rechtsextremen Zusammenschluss einiger Deutscher, die -zumeist Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mordend - von 2000 bis 2006 ihre blutige Spur durch Deutschland zogen, 10 Morde, viele Bombenanschläge mit einer großen Zahl von Verletzten und Raubüberfälle begingen und erst 2011 sich selbst enttarnten. Die dann beginnenden strafrechtlichen Ermittlungen sind eine unvorstellbare Aneinanderreihung von Vertuschungen, Fehlern, Einseitigkeiten und fehlendem frühzeitigem Blick für die rechtsextremistische terroristische Dimension dieser Täterin und dieser Täter. Es wurden die Angehörigen als mögliche Täter verdächtigt, viele sind bis heute traumatisiert.

NSU – Watch hat den 5 Jahre dauernden für die Nachkriegsgeschichte historischen Prozess vom ersten bis zum letzten Tag vollumfänglich protokolliert. Sie verstehen sich als unabhängige Beobachtungsstelle, die mit ihrer akribischen Niederschrift des Prozesses auch eine weitere Diskussion zu offengebliebenen Fragen ermöglichen. Diese Form von Transparenz ist ein wichtiger Beitrag zur Befassung mit dem gewalttätigen Rechtsextremismus, der die Demokratie gefährden kann. Als Vertreter ist Ulli Jentsch hier.

Ich gratuliere Ihnen allen sehr herzlich.

Anrede

Im gestrigen Kolloquium haben Schüler unsere Preis- und Medaillenträgerinnen gefragt, warum sie sich so engagieren, verbunden mit großen Gefahren für sie selbst.

Lassen Sie mich mit dem Leitmotiv von Boris Nemzov, den charismatischen Oppositionspolitiker, der 2015 vor dem Kreml mit fünf Schüssen in den Rücken ermordet wurde, antworten:

„ Tue was Du tun musst, komme, was da wolle“.

Ihr Kampf für Freiheit und Menschenrechte ist ein Kampf für uns alle. Sie geben uns Mut und Hoffnung. Wir danken Ihnen von Herzen.