Lesung zum Tag der Bücherverbrennung

Am 10. Mai 1933 wurden an vielen Orten in deutschen Städten unter Beteiligung vieler Student: innen die Bücher anerkannter Autori:nnen verbrannt.

Adolf Hitler strich eine ganze Generation von Schriftstellern aus dem Gedächtnis der Deutschen. Die Liste ist lang und reicht von Thomas Mann, Ernst Toller, Elke Lasker -Schüler über Irmgard Keun, Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Gertrud Kolmaar bis zu Walter Hasenclever.

Am 10. Mai habe ich in München auf dem Odeonsplatz das Gedicht von Walter Hasenclever  gelesen. Walter Hasenclever war einer der ausdrucksstärksten expressionistischen Dramatiker, der mit einigen Theaterstücken und besonders der Inszenierung von „Antigone“  bekannt wurde.

Als „Froschkönig“ hatte Walter Hasenclever Hitlers Propagandachef Joseph Goebbels satirisch gezeichnet – als die Nazis 1933 Bücher verbrannten, waren auch seine Werke dabei. Nach jahrelanger Flucht durch ganz Europa landete er schließlich in einem Internierungslager in der Provence.

Angesichts der Nachricht von den einmarschierenden deutschen Truppen nahm er sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1940 in dem Lager „Les Milles“ bei Aix-en-Provence durch eine Überdosis Veronal-Tabletten das Leben, um nicht den Nazis in die Hände zu fallen.

„Die Mörder sitzen in der Oper“

Der Zug entgleist. 20 Kinder krepieren.

Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier.

Darüber ist kein Wort zu verlieren,

Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen,

Generäle prangen im Ordenssturm.

Deserteure, die seit dem Angriff fliehen,

Erschießt man im Namen des obersten Herrn.

Auf, Dirigent, von deinem Orchesterstuhle!

Du hast Menschen getötet. Wie war dir zu Mut?

Waren es viel? Die Mörder machen Schule.

Was dachtest du beim ersten spritzenden Blut?

Der Mensch ist billig und das Brot wird teuer.

Die Offiziere schreiten auf und ab.

Zwei große Städte sind verkohlt im Feuer.

Ich werde langsam wach im Massengrab.

Ein gelber Leutnant brüllt an meiner Seite:

Sei still, du Schwein! Ich gehe stramm vorbei,

im Schein der ungeheuren Todesweite.

Vor Kälte grau in alter Leichen Brei.

Das Feld der Ehre hat mich ausgespieen;

Ich trete in die Königsloge ein.

Schreiende Schwärme schwarzer Vögel ziehen

Durch goldene Tore ins Foyer hinein.

Sie halten blutige Därme in den Krallen,

Entrissen einem armen Grenadier.

Zweitausend sind in dieser Nacht gefallen!

Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern,

Der Mob schreit: „ Sieg“. Die Betten sind verwaist.

Stabärzte halten Musterung bei Gespenstern;

Der dicke König ist zur Front gereist.

Hier Majestät, fand statt das große Ringen!

Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub.

Die Tafel klirrt, Champagnergläser klingen.

Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub.

Noch strafen Kriegsgerichte das Verbrechen,

Und hängen den Gerechten in der Welt.

Geh hin, mein Freund, du kannst dich an mir rächen!

Ich bin der Feind, Wer mich verrät, kriegt Geld.

Der Unteroffizier mit Herrscherfratze,

Steigt aus geschundenem Fleisch ins Morgenrot.

Noch ruft Karl Liebknecht auf dem Platze:

„ Nieder der Krieg“! Sie hungern ihn zu Tod.

Wir alle hungern hinter Zuchthaussteinen,

Indes die Oper tönt im Kriegsgewinn.

Misshandelte Gefangene stehn und weinen

Am Gittertor der ewigen Knechtschaft hin.

Die Länder sind verteilt. Die Knochen bleichen,

Der Geist spinnt Hanf und leistet Zwangsarbeit,

Ein Denkmal steht im Meilenfeld der Leichen,

Und macht Reklame für die Ewigkeit.

Man rührt die Trommel. Sie zerspringt im Klange,

Brot wird Ersatz und Blut wird Bier.

Mein Vaterland, mir ist nicht bange!

Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

Walter Hasenclever, 1890 - 1940

Quelle:  Jürgen Serie, Die verbrannten Bücher, Fischer Verlag, 1983. Seite 305/306