Ehrenpreisverleihung 2022 des Verbands Freier Berufe in Bayern e.V.

Der Verband Freier Berufe in Bayern e.V. zeichnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D., mit dem Ehrenpreis der Freien Berufe 2022 aus. Die Preisverleihung fand am 01. Juni 2022 im Dachgarten des Hotels Bayerischer Hof in München statt.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wurde vergangene Woche in München mit dem Ehrenpreis des Verbands Freier Berufe in Bayern e.V. (VFB) ausgezeichnet. Der Verband ehrt mit diesem Preis herausragende Persönlichkeiten des Zeitgeschehens, die in ihrer Arbeit und ihrem Wirken die Werte der Freien Berufe verkörpern und sich in besonderer Weise für das Gemeinwohl und die Gesellschaft einsetzen. Leutheusser-Schnarrenberger erhielt den inzwischen 10. Ehrenpreis des Verbands.

Mit dem Ehrenpreis des Verbands Freier Berufe in Bayern, eine schwere Skulptur aus Volledelstahl, sind bereits ausgezeichnet worden: der Architekt und Karikaturist Ernst Maria Lang (2006), die Politikerin Dr. Hildegard Hamm-Brücher (2007), Dr. Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments a.D. (2008), Prof. Karl Kling, ehemaliger Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau (2012), der Dirigent Kent Nagano (2014), Bayerns ehemalige Sozialministerin Christa Stewens (2015), der Karikaturist, Journalist und Buchautor Dieter Hanitzsch (2016), der Journalist Hans Leyendecker (2017) sowie der Kabarettist, Liedermacher und Arzt Dr. Georg Ringsgwandl (2019).

Lesen Sie hier die Dankesrede von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Es gilt das gesprochene Wort

Lieber Herr Schwarz, lieber Herr Ewer,

verehrte Gäste,

ich bedanke mich sehr herzlich für diese Auszeichnung mit dem Ehrenpreis der Freien Berufe Bayerns und fühle mich sehr geehrt.

Lieber Herr Ewer,

Ihre Laudatio hat mich an viele gemeinsame Anliegen und Kämpfe zur Stärkung der Anwaltschaft erinnert. Es ging nicht um Nebensächlichkeiten, sondern um wirkliche Essentials wie der Schutz des Berufsgeheimnisses, ohne das ein Anwalt nicht das Vertrauen seines Mandanten bekommt, der Arzt seinen Patienten nicht richtig behandeln kann, der Steuerberater für einen Mandanten nicht die legalen Steuervergünstigungen geltend machen kann. Auch die Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts ist für die Arbeit der Selbständigen und Freiberufler im 21. Jahrhundert entscheidend. Die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung ist zu einem Erfolgsschlager geworden. Und wie heftig mussten wir darum ringen – bis in die letzten Tage der letzten CDU/CSU/FDP – Koalition 2013, weil es in der Union unbegründete Bedenken gegen eine beschränkte Haftung, das passe nicht zum freien Beruf, der doch voll verantwortlich für seine Arbeit sein müsse. Welch Missverständnis vom Anwaltsberuf, der natürlich die allerbeste Beratung seinen Mandanten zukommen lassen muss, aber nicht in finanzielle existenzielle Gefahren geraten darf, weil zum Beispiel ein Planungsverfahren von ihm allein nicht beherrschbare Risiken birgt.

Sie haben unsere gemeinsamen Reisen nach China und Israel angesprochen. In China konnte vor ca 10 Jahren noch mit -ausgesuchten-Anwälten über ihre Situation und das andere Verständnis der chinesischen Politik über den Anwaltsberuf gesprochen werden. Da die kommunistische Partei und die politisch Verantwortlichen doch nur für die Bürger da seien, brauche es keines Rechtsanwalts, der dann auch noch für seine Mandanten Ansprüche gegen den Staat einfordere, obwohl der doch nur das Beste für das Wohlergehen seiner Bürgerinnen und Bürger im Sinn habe. Das wäre heute nicht mehr möglich, die Gefahr für die chinesischen Gesprächspartner wäre zu groß.

Auch in China holte uns die deutsche Politik ein und wir mussten spät abends in meinem Hotelzimmer die Strategie für die Anpassung des Kosten.- und Gebührenrechts besprechen und die erwartungsvollen Länderjustizminister auf Mehreinnahmen im Zaum halten.

Ich erinnere mich gern an dieses offene und konstruktive Zusammenwirken zu Gunsten der Freien Berufe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich empfinde diesen Ehrenpreis, der mich in die Reihe wertgeschätzter anderer Persönlichkeiten stellt, als eine Auszeichnung für eine Haltung, die Freiheit und Verantwortung für sich und andere als elementare Werte unserer offenen, pluralen Gesellschaft versteht und daran die Erarbeitung von Antworten auf Entwicklungen und auch auf Krisen ausrichtet.

Das ist schon in „ normalen“ Zeiten mit wirtschaftlichem Wachstum nicht immer leicht. In Krisenzeiten fordert es ein Ankämpfen gegen populistische Forderungen, die im Staat den wichtigsten Problemlöser sehen und von ihm das Eintreten und Einstehen für fast alle Risiken der Bürgerinnen und Bürger erwarten. Das kann nur mit massiven Beschränkungen der Freiheitsrechte einhergehen, die als solche gar nicht so wahrgenommen werden.

Das Freiheitsverständnis reduziert sich bei manchen dann auf ihre Freiheiten, die sie gegen die anderen durchsetzen wollen. Aber nur Freiheit mit Verantwortung, die zu einem solidarischen Miteinander mit möglichst großem individuellen Entfaltungsspielraum führt, wird unserem demokratisch verfassten Rechtsstaat gerecht.

Im 3. Jahr der Corona – Pandemie zeigen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die verschiedenen Branchen, die traumatischen Erlebnisse für viele Kinder und Jugendliche, die digitalen Probleme in den Schulen und besonders im Gesundheitswesen und die großen Gefahren besonders für die vulnerablen Gruppen in unserer Gesellschaft.

In dieser wirklichen Krise haben die Selbständigen und Freiberufler ihre Flexibilität und Effektivität gezeigt, genauso wie ihre Verantwortung für das Allgemeinwohl. Sie üben eben kein Gewerbe aus, sondern erbringen Dienstleistungen, die zu den Säulen unserer Gesellschaft gehören. In vielfältiger Form haben sie während der Pandemie dazu beigetragen, dass überhaupt die staatlichen Unterstützungsleistungen auch bei den Betroffenen angekommen sind. Sie haben als niedergelassene Ärzte das Gesundheitssystem mit am Laufen gehalten und das wohnortnahe Testen und Impfen angeboten. Die Künstler und Kulturschaffenden, die nicht in festen Vertragsverhältnissen leben, haben neue Formen beispielsweise der Musikvermittlung erfunden, von denen sie aber nicht ihren Lebensunterhalt finanzieren konnten. Sie waren nicht vom Beginn der Pandemie und nicht beim ersten Lockdown im Focus der Politik, nicht wenige mussten sich andere Erwerbseinnahmen suchen, bis es dann entsprechende in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltete und ausgestattete Programme gab, die zu einer vorübergehenden Absicherung führten.

Es gab bei den Selbständigen alles - von der Überlastung – wie besonders bei Steuerberatern und Ärzten - bis zum Angewiesensein auf Hartz IV, was für sie eigentlich unvorstellbar ist. Und es gab Innovationsschübe wie zum Beispiel bei den Apothekern, die immerhin Coronaimpfungen vornehmen durften. Das sollte in Zukunft auch für Grippe- und andere Impfungen erhalten bleiben.

Aber auch das Arbeiten im Homeoffice hatte für Selbständige besonders negative Auswirkungen, denn sie konnten keine Ausbildungsplätze und Schülerpraktika anbieten. Damit konnten sie auch nicht für die freie Berufstätigkeit werben und Orientierungshilfe für die Berufswahl geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Corona-Maßnahmen haben zu den intensivsten Grundrechtseingriffen aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland seit Jahrzehnten geführt. Pauschale Verbote von Versammlungen und Gottesdiensten wurden zu recht von den Gerichten aufgehoben. Ausgangsbeschränkungen am Abend stießen zu Recht auf Unverständnis, denn welche Gefahr geht von einem Abendspaziergang aus?

Aber das Wichtigste für mich war, dass wir trotz Gesundheitskrise keinen verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand wie zum Beispiel in Frankreich hatten. Auch in der Krise gelten in Deutschland die in der Verfassung garantierten Grundrechte und der Zugang zum Recht und zu den Gerichten wird gewährleistet. In diesem Kreis muss ich das nicht betonen, aber den Bürgerinnen und Bürger muss es immer wieder erklärt werden. Die Pandemie hat Anlass gegeben, die Bedeutung der Freiheitsrechte selbst unmittelbar zu erleben und sie wert zu schätzen. Es ist kein Privileg, diese Rechte zu haben, sie sind jedem Individuum a priori existent und werden nicht vom Staat verliehen. Und bei aller Kritik an einzelnen Maßnahmen, leben wir in Deutschland nicht in einer Diktatur, und es darf keine Bevölkerungsgruppen geben, die zu Sündenböcken gemacht werden wie das mit Jüdinnen und Juden geschieht, denen man verschwörungsmythisch unterstellt, das Virus erfunden zu haben, um mit den Impfungen zu verdienen und Menschen mit Implantaten abhängig machen zu wollen.

Da muss man gegenhalten, diese neue Begründung des Antisemitismus darf nicht unwidersprochen bleiben.

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Jahr die Bundesnotbremse als verfassungskonform bewertet und ziemlich pauschal die Freiheitsbeschränkungen mit den Gefahren für die Gesundheit vieler Menschen und für das Gesundheitssystem als verhältnismäßig angesehen. Das ist ja das juristische Wort, das jetzt zum allgemeinen Sprachgebrauch gehört. Der Exekutive und dem Gesetzgeber werden weite Entscheidungsspielräume zugestanden.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Richterinnen und Richter in Karlsruhe intensiver auf die einzelnen Beschränkungsmaßnahmen im Infektionsschutzgesetz eingegangen wären und einzelne Abwägungen vorgenommen hätten. So wie es eigentlich der Vorgehensweise in vielen grundrechtsrelevanten Entscheidungen entspricht. Ich halte diese verfassungsgerichtliche Entscheidung deshalb auch nicht für übertragbar auf künftige Grundrechtsabwägungen, sondern für eine der besonderen Situation geschuldete Entscheidung.

Denn mich beschäftigt besonders, was das für die Zukunft bedeutet. Wenn wir wieder „normale“ Situationen haben. Es darf keine sog. neue Normalität geben, die unser Grundrechtsgefüge verschiebt.

Die Politik muss sich mit der Wirkungsweise und den tatsächlichen Auswirkungen der Maßnahmen auf das Pandemiegeschehen befassen. Ein künftiges Stolpern in einen Lockdown darf es nicht mehr geben.

Sie haben es sehr schön in einem Interview formuliert, lieber Herr Schwarz und ich zitiere Ihre Worte:

„ Wenn beim Blick in die Zukunft mitschwingt, dass sich die Gesellschaft an den Verlust individueller Freiheitgewöhnt hat, wenn Einschränkungen dauerhaft als politischer Zwang ausgelegt werden. Und wenn der Zustand eines übergriffigen Staates auch nur ansatzweise bestehen bleibt, dann ist die Freiheit in Gefahr. Der allmächtige Staat, der in alles hineinregiert, muss die Ausnahme bleiben und bald der Vergangenheit angehören.“

Die Freien Berufe sind gerade dazu aufgerufen, ein klares Zeichen zu setzen. Freiheit, Demokratie und der Rechtsstaat stehen nicht zur Disposition. Und diejenigen, die Ängste und Unsicherheit schüren, um das Vertrauen in die Demokratie zu schwächen und statt demokratischer Prozesse stärker auf einen autoritären Staat setzen, der zwischen Freunden und Feinden unterscheidet, Menschen wegen ihrer Abstammung und Herkunft als nicht dazugehörig betrachtet und dem Deutschtum frönt, dürfen keinen Platz haben.