Die unendliche Geschichte der Vorratsdatenspeicherung

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ist seit einigen Jahren mit seinen Entscheidungen zu einem Verteidiger und Garant der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union geworden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ist seit einigen Jahren mit seinen Entscheidungen zu einem Verteidiger und Garant der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union geworden. Der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung hat er bereits mit seinen beiden Urteilen im Jahr 2014 und 2016 einen deutlichen Riegel vorgeschoben und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) die rote Karte gezeigt. Eigentlich sollte damit die unendliche Geschichte der flächendeckenden, anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten, die mit Verabschiedung der Richtlinie 2006/24/EG am 15.3.2006 begann, endlich und endgültig beendet sein. Denn der EuGH hat unmissverständlich die ohne jeden Anlass und ohne eine Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis gesetzlich erlaubte Datenspeicherung für ungültig und nichtig erklärt, da sie gegen Art. 7 und Art.8 der Grundrechtecharta der EU (GRCh) verstößt und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art. 52 Abs. 1 der Charta verletzt.

Beschränkungen des Rechtes auf Privatheit und des Schutzes der personenbezogenen Daten können nur dann für zulässig erachtet werden, wenn sie auf das absolut notwendige Maß begrenzt sind.

Das ist bei der unbegrenzten Speicherung der Daten von Personen, die keinen unmittelbaren oder noch nicht einmal einen mittelbaren Bezug zu einer Handlung haben, die zur Strafverfolgung Anlass gibt, nicht anzunehmen.

Diese Massenspeicherungen sind nicht das absolut notwendige Instrument, kann es als Alternative doch die durch konkrete Anhaltspunkte begründete Speicherung von Daten einzelner Personen geben. Außerdem gibt es noch nicht einmal eine Ausnahme für die Personen, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Vorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen. Das alles hat die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten nicht davon abgehalten, an einer teilweise etwas eingeschränkten, aber anlasslosen Vorratsdatenspeicherung festzuhalten, weil diese die Vertraulichkeit der Kommunikation gefährdende Überwachungsmaßnahme angeblich unverzichtbar zum Vorgehen gegen die organisierte Kriminalität und Terroristen sei. Alle Zweifelsfragen gegen die Vorratsdatenspeicherung bis hin zu der Behauptung, die nationalen Gesetze fielen nicht in die Zuständigkeit des Unionsrechts, wurden mit dem Urteil des EuGH vom 21.12.2016 ausgeräumt.

Es betraf die nationalen Gesetze in Schweden und dem Vereinigten Königreich, die mittels zwei Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vorgelegt wurden. Der EuGH bestätigte auch für die VDS–Gesetze der anderen Mitgliedstaaten noch einmal die Anforderung, dass diese die Grundrechtseingriffe auf das „absolut Notwendige“ zu begrenzen haben. Dies sei bei einer nationalen Regelung nicht gegeben, die „die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten vorsieht,“ weil sie die Vorratsdatenspeicherung zur Regel macht, obwohl sie die „ Ausnahme zu sein hat“. Diese Entscheidung wurde auch an das deutsche „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12. 2015 angelegt, das am 18.12 2015 in Kraft trat.

Obwohl diese umbenannte Vorratsdatenspeicherung vielen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH in seinem Urteil zu „Digital Rights“ in Detailregelungen Rechnung Rechnung zu tragen sucht, bleibt es bei dem Mangel, dass alle Nutzer anlasslos erfasst werde

Die konsequente Rechtsprechung des EuGH zu diesem Thema ist beeindruckend. Er hat in ständiger Rechtsprechung (z.B. Digital Rights Ireland, Tele2 Sverige und Watson, Ministerio Fiscal) festgestellt, dass eine präventive, allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten mit europäischem Recht nicht vereinbar ist. Zuletzt wurde diese Rechtsprechung im Urteil La Quadrature du Net u.a. vom 6. Oktober 2020 umfassend gewürdigt, zusammengefasst und bestätigt. Das aktuellste Urteil vom 5. April 2022, mit dem die irischen Regelungen zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gekippt wurden, bezieht sich auf diese ständige Rechtsprechung und setzt sie fort.

Das jetzt entschiedene Vorlageverfahren des BVerwG zu den ausgesetzten deutschen Bestimmungen zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung (SpaceNet und Telekom Deutschland) lässt keine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung zu.

Das Gericht folgt damit den Schlussanträgen vom 18. November 2021 des Generalanwalt Manuel Campos Sanchéz-Bordona. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass die Unvereinbarkeit der deutschen Regelungen für eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten mit europäischem Recht schon aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ergibt.

Zu der heutigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) erklärt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D. und stellv. Vorsitzende der Friedrich-Naumann Stiftung für die Freiheit:

Deutschland ist ohne die Vorratsdatenspeicherung nicht unsicherer geworden. Alle Anläufe der Vergangenheit, die Vorratsdatenspeicherung mit dem Kopf durch die Wand durchzusetzen, sind gescheitert. Das gilt auch für die Bundesinnenministerin. Eine Generalüberwachung aller EU-Bürger kann es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht geben. Daran ist der deutsche Gesetzgeber gebunden.

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